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Alle meine Anteile: der innere Faschist

 

Inhaltsverzeichnis

 

"Ich bin doch kein Faschist!" 

Jeder vernünftige Mensch hält sich für keinen Faschisten. Alle sagen praktisch unisono: „Ich bin nicht rechts! Ich bin kein Rassist. Ich bin kein Faschist. Ich marschiere doch nicht mit Rechten auf der Straße“ usw. usf. Diese Abgrenzung, die übrigens auch die eigenen Denk- und Handlungsmöglichkeiten einschränkt, da sie einiges in eine Tabuzone verschiebt, löscht den Faschismus gar nicht aus, sie stärkt ihn sogar auf der energetischen Ebene, denn alles, wovon wir uns vehement abgrenzen müssen, ist ein sehr vitaler, aber ein unterdrückter oder verdrängter / abgespaltener Teil von uns. Ja, der Leser mag ob dieser Feststellung erschrecken, aber es ist wahr: Jeder, wirklich jeder Mensch in unserer Kultur und Zivilisation, trägt einen größeren oder kleinen Anteil in sich, den ich den „inneren Faschisten“ nenne. Und so wird durch die Abgrenzung von diesem Anteil und durch seine Verleugnung dem inneren und äußeren Faschismus Energie zugeführt, sowohl durch direkte faschistische Handlungen und Sprache, häufig auf eine subtile und verdeckte Art, so dass sie mittlerweile zunehmend schwerer als solche zu erkennen sind, als auch durch die bewusste Abgrenzung davon. Aber eins nach dem anderen.

Faschismus - was ist das überhaupt?

Damit wir von denselben Dingen reden, ist es wichtig, dass wir uns mit dem Begriff beschäftigen, sonst rede ich von Äpfeln und der Leser denkt, ich würde von Birnen reden. Bei allen Begriffen ist es äußerst hilfreich, sich ihre Wortherkunft anzusehen, denn sie gibt zuverlässig Auskunft über die Hauptbotschaft des Begriffs. Also, schauen wir uns die Etymologie des Faschismus an: italienisch fascismo, zu: fascio = (Ruten)bündel. Die Idee dahinter: Eine Rute ist schwach und zerbrechlich, mehrere Ruten zusammengebündelt sind stark. Diese Rutenbündel waren übrigens Machtsymbole im Römischen Reich. Die Psychologie dahinter, mehrfach und an vielen Beispielen in den Büchern von Arno Gruen ("Der Wahnsinn der Normalität", "Der Fremde in uns") beschrieben, ist an sich simpel: Schwäche darf nicht sein bzw. man darf sich nie wieder schwach fühlen. Ein Beispiel aus einem von Gruens Büchern: In einer größeren Stadt in der Schweiz genießen viele Familien einen schönen Wintertag beim Schlittschuhlaufen. Ein Mädchen fällt hin und verletzt sich am Knie. Die Eltern werden wütend und schicken das Kind alleine nach Hause. Dieses Verhalten speist sich aus dem inneren Faschisten, der keine "Schwäche", innerlich wie äußerlich, erleben kann. Er tut alles, um dieses Erleben zu vermeiden. Er wird wütend, ausschließend, gewalttätig, versteckt sich manchmal auch hinter ausgefeilten rationalen Systemen, nennt sie z. B. "die Wissenschaft". Der Faschist, innerlich wie äußerlich, ist also der perfekte Schutz gegen das Wiedererleben dieser Schwäche und dieser Ohnmacht, die ihre Wurzeln im emotionalen und sonstigen Kindesmissbrauch hat. Die Bündelung, die er eingeht, hat also eine stärkende Komponente. Gleichzeitig kommt die Komponente der Ausgrenzung dazu: Denn jeder, der nicht zum Bündel dazugehört, muss bekämpft und entmachtet werden. Besonders betrifft es Menschen, die durch das Erleben der inneren Schwäche bei sich geblieben sind und diese Schwäche bzw. dieses Erleben durch die Pseudo-Stärke nicht cachieren. Sie sind die größte Gefahr für den inneren wie äußeren Faschismus und werden daher am meisten auf alle möglichen Arten bekämpft: früher direkt durch Wegsperren und Mord, heute etwas subtiler durch sozialen oder psychischen Mord, durch Verleumdung und durch Ausschluss. Der Faschist glaubt ja übrigens auch auf der Seite der Guten zu stehen. Seine gefühlte moralische Überlegenheit und die Bündelung ("Zusammen sind wir stark und ziehen an einem Strang.") erlaubt es, Dinge zu tun, zu denen jeder Einzelne seine Zustimmung niemals geben würde. Die Ausgrenzung bis hin zum (kollektiven) Mord (physisch / psychisch) erscheint daher problemlos möglich.

Die Umkehrungen

Typisch für den Faschismus sind Umkehrungen und Verdrehungen, die auch auf der sprachlichen Ebene sichtbar werden. Krieg ist Frieden. Krankheit ist Gesundheit. Hass ist Liebe. Auch unsere Zeit ist voll davon. Beispiel: Man spricht von "Selbstverantwortung" und meint damit Gehorsam bzw. Regelkonformität. Erreicht wird es durch Angsterzeugung, durch Manipulation und das Schaffen von Denk-und Wahrnehmungskorridoren, durch das energetische Andocken an den inneren Faschisten in jedem einzelnen Menschen, durch eine gewisse Unsichtbarkeit oder das Sich-Tarnen als etwas Gutes. Wer sich aggressiv auflehnt und sagt "Ich mache da nicht mit", hat das Potential, den Faschismus sogar zu befeuern. Besonders betroffen davon sind diejenigen, die sich lautstark als "anti-faschistisch" positionieren. Sie laufen höchste Gefahr, gegen eigene Dämonen, die sie versuchen im Außen zu bekämpfen, zu verlieren und so ihnen erst recht an die Macht zu verhelfen. Dabei übersehen sie natürlich ihre eigenen offen- oder subtil-faschistischen Sprach- und Verhaltensmuster. Sie stilisieren sich als Rebellen, als die, die sich gegen Autoritäten auflehnen, sind aber im Kerne mit ihnen verbündelt und wollen an ihrer Macht teilhaben.

Grundsätzlich wird also der innere Faschist und sein Ausdruck sowohl von den Gehorsamen als auch von den Rebellen befeuert, denn sie beide tragen diese ursprüngliche Angst vor (der erlebten) Schwäche und Ohnmacht in sich. Gibt es denn keinen Weg daraus? Sind wir alle dazu gezwungen, da wir alle den inneren Faschisten in uns tragen, dieses Theaterspiel immer wieder mitzuspielen? Die Rollen sind ja besetzt. Hier die Braven, dort die Rebellen und in der Mitte die Mitte, die sich den entsprechenden Machtverschiebungen flexibel anpasst. Kommen die Rebellen irgendwann an die Macht, werden die Rollen neu verteilt und das Spiel geht von vorne los.

Die Lösung

Es gibt zwei Lösungen. Die erste ist eine symptomatischer Natur, die zweite ist eine heilender Natur. Die symptomatische Lösung besteht darin, dafür zu sorgen, dass der innere Faschist in uns allen schlummert. Dafür sorgen gute Lebens- und Arbeitsbedingungen, eine freundliche Umwelt, das Gefühl, dazuzugehören und seine Bedürfnisse erfüllt zu bekommen. Im Moment bewegen wir uns weg von dieser Lösung: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Die Arbeitsbedingungen werden für viele Menschen immer prekärer, die Wut wächst. Mangel herrscht an vielen Stellen. All das weckt den inneren Faschisten. Jedes Mangelgefühl knüpft unbewusst an die verdrängte Schwäche an, der Schutz wacht auf, erzeugt entweder Passivität und Konformität oder aber Wut und Auflehnung, was den inneren Faschisten (und parallel dazu seinen Ausdruck im Außen, der nicht dem typischen Faschismus-Verständnis im Sinne einer Rassenideologie o. Ä. entsprechen muss) nur noch stärker macht, so dass wir uns immer weiter weg von dieser Lösung entfernen. Keine Lösung sind übrigens ebenfalls das typische Beschwören der hyperrationalen Formeln à la "Nie wieder Faschismus!", alle Formen von (hyperrationaler) Abgrenzung und das Beschwören der sog. "Diversität" oder auch der "Demokratie".

Die heilende Lösung bestünde hingegen darin, an die ursprüngliche Erfahrung der Schwäche und Ohnmacht zu gelangen, sie zu heilen, so dass der Schutz durch den inneren Faschisten obsolet wird. Dann können wir Stück für Stück die Rolle, die wir bislang spielten, abstreifen, aus diesem Theaterstück aussteigen, alle unsere Anteile annehmen (also, keine mehr ausschließen!) und authentisch leben. Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg. Kein Grund übrigens, diesen Weg nicht zu gehen!

Meine Erfahrung in einer Aufstellung zur Lösungsfindung

Am 21.09. war ich Teilnehmerin an einer Online-Sitzung mit Franz Ruppert zum Thema „Was will ich politisch?“ und konnte Zeugin genau dieses Spiels innerhalb der Psyche werden. 10 Teilnehmer wurden ausgelost, die Begriffe nannten, die sie zurzeit politisch und persönlich beschäftigten; pro Teilnehmer gab es einen Begriff, wie z. B. Angst, Kindesmissbrauch, Rückgrat, Selbstverantwortung, Zugangsbeschränkungen, Freiheit, die Kraft der Wahrheit usw. Faschismus war auch dabei. Die Teilnehmer hatten ca. 30 Minuten Zeit in Resonanz mit diesem Begriffen zu gehen, wodurch eine innerpsychische Gruppendynamik entstand. Der verdeckte Hauptdrahtzieher war übrigens der Faschismus. Er äußerte: „Alles läuft nach Plan.“ Oder er bestärkte einzelne Repräsentanten auf ihrem Wege, besonders wenn sie aggressiv oder ängstlich wurden, intellektuell oder ausgrenzend, also praktisch alle Formen des Fühlens und Denkens praktizierten, die energetisch betrachtet nicht selbstverbunden sind. Die Teilnehmer fühlten sich tatsächlich so, als wären sie in einem Theaterspiel. Sie fühlten sich dem sogar ausgeliefert, denn sie konnten nicht anders, als nach diesen Spielregeln (unbewusst) mitzuspielen. Es fehlte eine Alternative. Eine wirklich echte Alternative in Form von Selbstverantwortung entstand aber erst, als alle Teilnehmer einsahen, dass sie den Faschismus, gegen den viele von ihnen sich auflehnten, auch in sich trugen. Am schwierigsten, es zuzugeben, fiel es der Repräsentation für den Begriff "aggressiv". Aus ihrer Sicht hatte sie jeden Grund wütend zu sein und auch ihrer Wut Ausdruck zu verschaffen. Das Objekt ihrer Wut interessierte es herzlich wenig. Dem Faschismus spielte ihre Wut in die Hände, denn solange sie in dieser Wutenergie verharrte, war sie nicht imstande, zum Kern des Problems vorzudringen. Wut trägt außerdem dazu bei, dass Menschen anfangen, gegeneinander zu kämpfen, sich zu zerfleischen oder zu sehr im Kopf zu sein – all das nährt ebenfalls den Faschismus. "Sie machen meine Arbeit selbst", könnte er sagen, wenn er ein Mensch wäre. Praktisch! Zurück zur Aufstellung. Als die Gruppe also zur Einsicht kam, dass der Faschismus in uns allen steckt, weigerte sich die Repräsentation für "aggressiv" als Einzige das anzuerkennen. Sie sagte, wie viele Menschen es auch instinktiv kundtun: "Ich bin kein Faschist! Ich bin kein Rechtsradikaler." Der Faschismus erwiderte darauf: "Sehr gut. Ich habe so alles unter Kontrolle." Und: "Alles läuft nach Plan." Und so sehen Sie: Wir sind Marionetten dieser Muster. Angst und Wut bestärken es. Das Einzige, was es auflösen kann, ist Ruhe, eigene Kraft und Integration innen und außen. Das kann allerdings nur gelingen, wenn wir den inneren Schutz überwinden und an die Anteile gelangen, die der innere Faschist so zuverlässig beschützt. Schließen wir das alte Erleben von Schwäche und Ohnmacht ab, wird aus der Schwäche wahre und ruhige Kraft entstehen und aus Ohnmacht echte Hingabe. Dieser Prozess geht Hand in Hand mit dem Wiedererlangen der eigenen Integrität und vollzieht sich in echter Selbstverantwortung. Und nein, das muss nicht jeder machen. Es reicht, wenn die kritische Masse es für sich geklärt hat. Dann ändern sich die Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Die Mitte, die den inneren Faschisten noch in sich trägt, ist ja opportun. Für sie würde ggf. auch die symptomatische Lösung reichen, die von Menschen mitgetragen wird, die ihren inneren Faschisten aufgelöst und die Schwäche-Anteile integriert haben, denn es gilt: Die Macht im Außen kann sich nur über das Innere der Menschen, die am Machtkonstrukt beteiligt sind, konsolidieren. Wollen wir also den Faschismus und seine Spielarten individuell und kollektiv überwinden, müssen wir ganz anders vorgehen als bislang. Also, auf zur Klärung!

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Wie sind meine Erfahrungen mit dem Faschismus? Was verstehe ich darunter? Wie positioniere ich mich diesbezüglich?
  • Kann ich den inneren Faschisten in uns allen sehen? Wie wirkt er durch mich?
  • Welche Erfahrungen von Schwäche und Ohnmacht, die unbefriedet sind, schlummern noch in mir? Bin ich bereit, sie anzugehen und mich meinen Dämonen zu stellen?

 

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