freiRaum · Gartenallee 51c 28359 Bremen 0176 456 473 12 kontakt@innerer-freiraum.de

Hunger – ein komplexes Gefühl

 

Inhaltsverzeichnis

 

Hunger und seine verkannte Komplexität

Jeder Mensch kennt Hunger. Dabei scheint die Sache auf den ersten Blick klar zu sein: Wenn man Hunger hat, isst man. Damit ist das Hungergefühl weg. Alle, die schon einmal unerklärlichen Hunger oder Heißhungerattacken erlebt haben, wissen, dass das nicht so einfach ist. In der Tat ist Hunger ein extrem komplexes Gefühl. Zu lernen, seine Facetten zu unterscheiden und seine Botschaften zu entschlüsseln, ist gar keine so einfache Angelegenheit. Im Idealfall lernt man es so nebenbei, schon als Baby. Das Baby ist hungrig. Die Mutter geht auf seine Bedürfnisse ein. Es bekommt alles: Nahrung, physisch und seelisch, die Erfahrung von Ekstase, also Erfüllung und Genuss, und es erfährt Einheit mit der Mutter und mit sich selbst – ein rundum spirituelles Erleben also! Wer das in seiner Kindheit erlebt hat, braucht diesen Artikel nicht weiterzulesen. So jemand würde aber auch nicht hier im Blog landen. Im Endeffekt betrifft es uns alle: Wer kann schon von sich behaupten, dass man als Baby und Kleinkind eine absolut selbstverbundene Mutter hatte, die seine Bedürfnisse vollumfänglich stillen konnte, und zwar nicht nur auf der körperlichen oder auf der körperlichen + emotionalen Ebene? Das ist DIE Herausforderung für viele: später im Leben zu lernen, auf das eigene Hungergefühl zu achten, es richtig zuzuordnen und für Erfüllung zu sorgen. Ohne eine Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten und Blockaden wird es nicht gelingen. Zu groß ist die Verheißung, bequem in der Komfortzone zu bleiben, zumal für das oberflächliche Hungerstillen in unserer heutigen Zeit gesorgt ist: Wir haben Essen ohne Ende! Ob das auch die richtige Nahrung ist?

Die Facetten des Hungers

Die Facetten des Hungers sind vielfältig. Am bekanntesten ist natürlich der Hunger als Anstoß zur Nahrungsaufnahme. Die rein körperliche Nahrung mit all seinen wertvollen Stoffen ist nur ein Teil der Nahrung, die wir Menschen brauchen. Wir brauchen auch psychische und intellektuelle Nahrung. Wir brauchen aber auch Liebe, Kontakt, Ekstase und eine spirituelle Dimension in unserem Erleben. Schauen wir uns alles einzeln an:

  • Wertvolle physische und psychische Nahrung: Wir alle brauchen grundlegende physische Nährstoffe und Energie, aber auch für die psychischen Bedürfnisse, z. B. für das nach Zugehörigkeit und Schutz, muss gesorgt werden. Die physische Nahrung muss übrigens nicht nur Mineralien, Vitamine und Kalorien liefern, sondern auch auf energetischer Ebene hochwertig sein, damit es uns geht. Selbstversorger zu sein ist für mich persönlich ein ferner Traum, daher schwöre ich erst einmal auf die Demeter-Produkte aus lokaler Gärtnerei. Wer die Preise sieht, wird vielleicht erst einmal abgeschreckt sein. Fakt ist: Für diesen Preis bekommt man sehr viele Nährstoffe. Man braucht weniger Lebensmittel zu verzehren, weil man alles etwas geballter bekommt. Und das Gemüse wurde mit Liebe und Hingabe per Hand gezüchtet, ist also energetisch der Supermarktware haushoch überlegen. Wo wir gerade bei Liebe sind, kommt sie schon als nächster Punkt.
  • Liebe: Mit Liebe ist die universelle Energie gemeint, die uns nährt. Sie lässt uns wachsen und gedeihen. Der Mensch, der mit dieser Energie gut verbunden ist, liebt und lässt sich (von allen und von allem) lieben. Aus Angst vor Liebe oder aus Liebesmangel (Beides trifft übrigens gleichzeitig auf, der Mangel und die Angst!) essen viele Menschen zu viel und werden dick, bis hin zum Diabetes, die ja eine Zuckerkrankheit, also eine Liebeskrankheit auf zellulärer Ebene ist.
  • Ekstase: Jeder Mensch strebt nach Erfüllung und nach Genuss. Übersteigt der Genus alle Sinne und führt zu einer Art Explosion, spricht man von Ekstase. Dabei kann man Ekstase auch in jedem kleinsten Detail seines Lebens leben. Viele Menschen tragen einen Hunger nach Ekstase in sich, fühlen sich häufig oder permanent unzufrieden und unerfüllt. So, als würde ihrem Leben etwas sehr Wesentliches fehlen. Dabei lassen sie das Ekstatische nicht an sich heran, weil sie nicht in Kontakt sind, wobei wir gleich beim nächsten Punkt wären. Zur Ekstase sei noch gesagt, dass sie nur zusammen mit der Kontaktfähigkeit die volle Kraft entfaltet. Ohne echten Kontakt, keine Ekstase und wenig Sinnlichkeit. Das Problem ist in unserer Gesellschaft bekannt; die Folgen sind z. B. mechanistischer Sex, fettreiches Essen als Genussersatz, Kaufsucht und ähnliche Phänomene.
  • Kontakt: Echten Kontakt zu haben, bedeutet, auf allen Kanälen und Ebenen offen und empfänglich zu sein. Man geht in einen Austausch, wird durchlässig, nimmt an, transformiert, gibt das Transformierte zurück. Für diesen Austausch werden die üblichen Grenzen aufgehoben. Es gleicht einer Einheitserfahrung, kommt einer Verschmelzung schon sehr nahe. Im Volksmund sagt man, dass die Chemie stimmt oder dass man auf der selben Wellenlänge ist. Der Kontakt gestaltet sich mühelos und selbstverständlich. Es flowt.
  • Spiritualität: Die spirituelle Erfahrung bzw. die Einheitserfahrung ist die Summe all unserer Erfahrungen auf der tiefsten Ebene. Es ist die vollkommene Erfüllung. Der spirituelle Hunger ist in unserer Zeit nicht einfach zu stillen und auch nicht einfach konkret zu erspüren. Viele Menschen spüren es eher etwas abstrakt, stellen sich aber schon die richtigen Fragen: Was ist der Sinn des Ganzen? Wozu lebe ich? Was mache ich hier eigentlich? Was ist das höhere Ziel? Das Stillen des Hungers nach Nahrung, nach Liebe, Ekstase und Kontakt macht diese Ebene zugänglich. Von hier aus sieht und fühlt sich einiges anders an. Die Gegensätze lösen sich auf. Und so löst sich z. B. auch der Unterschied zwischen der Tiefe und der Oberfläche auf. Alles wird eins.

Aus den Augen, aus dem Sinn!

Wie langweilig wäre das Leben, wenn wir bereits vollkommen erfüllt wären. Das Ringen um die Erfüllung ist einer der Hauptlebenszwecke. Solange wir auf dieser Erde weilen, erleben wir die Welt als polar: warm und kalt, hart und weich, friedlich und kriegerisch, männlich und weiblich. Und so folgt auf jede Sättigung, auf jede Erfüllung früher oder später wieder Hunger. Und so drehen wir unsere Runden oder, wenn wir die üblichen Lern-Runden abschließen und verlassen, unsere Spiralen. Was dem Fortschreiten auf der Lernspirale einen Strich durch die Rechnung macht, ist unsere nur allzu menschliche Fähigkeit, Dinge nicht zu sehen: Aus den Augen, aus dem Sinn! Und so fokussieren wir uns bei unserem Hunger auf Dinge, die wir wahrnehmen und blenden andere aus, besonders unsere Ängste, die unsere Hungergefühle betreffen. Das kann zu einigen interessanten und auch weit verbreiteten Mustern führen.

Das wohl bekannteste Muster ist das Greifen nach physischer Nahrung, um den Hunger nach Liebe, Ekstase und Kontakt zu stillen. Zum Teil ist man damit sogar erfolgreich. Statt Liebe nimmt man Zucker. Statt Ekstase stark gewürzte, fettreiche oder einfach eine sehr außergewöhnliche Kost; vielleicht trinkt man den erlesensten Wein und besucht das ausgefallenste Restaurant. Kontakt hat man beim Essen ohnehin, und zwar über die Sinne, dann an den Lippen und im Mund auf der Schleimhaut und auch weiter unten im Verdauungstrakt. Ersatz bleibt aber Ersatz und so gibt es Symptome. Konkret könnte es z. B. so aussehen: Statt sich mit seiner Angst vor Liebe zu konfrontieren, nimmt der Mensch Zucker zu sich und entwickelt Diabetes. Statt ekstatisch zu leben, braucht er besonders viel Geschmack, also fettreiche Kost. Dann wird er übergewichtig oder vielleicht sogar fettleibig. Hat er Angst vor Kontakt, entwickelt er vielleicht Hautkrankheiten. Kommt auf vielen Ebenen das Stillen des eigentlichen Hungers und dadurch automatisch das Spirituelle zu kurz, folgen spätestens dann (Multi-)Systemerkrankungen. Lieber Leser, das ist nur ein Beispiel. Im Einzelfall sei jeder aufgerufen, sich mit seinem individuellen Hunger und den eigenen Ängsten, die dem Stillen des Hungers entgegenstehen, auseinanderzusetzen. An dieser Stelle sehen wir uns das Beispiel "Kontaktangst" an. 

Ängste und Hunger am Beispiel der Kontaktangst

Hinter der Angst vor Kontakt steckt die Erfahrung bzw. der Glaubenssatz "Kontakte tun weh" oder "Ich werde verletzt, wenn ich offen in Kontakt gehe." So verhindert der Mensch selbst genau das, wonach er sich so sehnt, ohne es häufig zu merken, denn rechtfertigen tut er das mit alten Verletzungen oder mit mangelndem Vertrauen. Ein echter Kontakt, der grenzenlosen Austausch, also praktisch eine energetische Verschmelzung, beinhaltet, kann ihm also aus nachvollziehbaren Gründen höllische Angst einjagen, trägt er doch die Erfahrung in sich, genau in seiner Offenheit verletzt worden zu sein. An dieser Stelle im Prozess kann jeder aber entscheiden, das Vertrauen zur Heilung einzusetzen. Und auch die Liebe (als universelle bedingungslose Liebe) stellt sich zur Verfügung, um die Angst zu heilen. Es gibt natürlich andere Schein-Lösungen, z. B. schüchtern zu sein bzw. sich zurückzuziehen oder aber überheblich zu sein oder aber eine Kontaktoffenheit zu simulieren. Letzteres kann einigen Menschen in ziemlicher Perfektion gelingen. Andere Menschen würden nie auf die Idee kommen, dass sie es mit einer Nachahmung bzw. einer Kopie, die sehr nah dran am Original ist, zu tun haben. Die Kopie hinterlässt aber natürlich eine Symptomatik, was ein Original niemals tut, in diesem Fall gerne auf der Hautoberfläche oder im Magen-Darm-Trakt. Der Original-Kontakt, der auf Vertrauen in die spirituelle Einheit basiert, lässt erst die volle Ekstase, also das Erfülltsein im Leben zu. Das heißt, alles, wirklich alles, wird als Genuss und Erfüllung erlebt: ein Blick des Nachbarn, der Hauch des Windes, ein Herbstblatt, ein über die Wiese laufender Hund, die Lichtstrahlen am Morgen und und und – einfach alles!

Kommen sich die Angst auf der einen Seite und die grundsätzliche Kontaktfähigkeit eines jeden Menschen auf der anderen Seite näher, ist es möglich, hinter die Angst zu blicken. Hinter der Angst verbirgt sich ein Kleinkindanteil, der sich im Kreise der anderen Anteile klein und unzulänglich fühlt. Das ist ja auch verständlich. Die anderen haben Erfahrungen gesammelt, ihre Bedürfnisse erfüllt, so gut es eben ging, er blieb aber auf dem damaligen Stand zurück. Hier öffnet sich eine neue Möglichkeit, denn der Hunger ist für den Moment gestillt, und so kann der Kleinkindanteil sich als Erstes offenbaren um dann endlich im Kreise der anderen aufgenommen zu werden. Jetzt kann er bekommen, was er braucht, und zwar Nahrung, Liebe und Vertrauen, damit er wachsen kann. Auch muss er in Form von Angst nicht mehr weggefressen, ausgekotzt, in Fettpolstern eingelagert oder auf der Haut manifestiert zu werden. Und so wird er auch endlich neue Erfahrungen sammeln und wachsen können. Und: Er MUSS wachsen!

Hunger als Hinweis auf zu wenig Yin

Der Hunger kann übrigens auch auf zu wenig Yin, also zu wenig Verdauung, Loslassen, Sich-fallen-Lassen, hindeuten. Beobachten Sie im Laufe des Tages, ob Sie irgendwann Hunger bekommen, obwohl Sie eigentlich genug gegessen haben. Es kann sein, dass der Hunger Sie darauf hinweist, dass es Zeit für eine Ruhepause ist, z. B. in Form von Innehalten, Meditation, Zeit im Schaukelstuhl, Mittagsschlaf u. Ä. Und Nein, nicht dabei lesen, Musik hören oder was auch immer! Ich meine schon so eine richtige Ruhepause. Dieses Bedürfnis nach Ruhepause kann man tatsächlich ausgleichen, indem man sich noch mehr physische Nahrung zuführt. Allerdings ist das nicht so gut wie die Originalnahrung in Form von Ruhe. Sie tanken durch die Ruhepause ja auch Energie. Und sie ist in diesem Fall besser als die Energie, die Sie durch die physische Nahrung bekommen hätten. Letztere haben Sie ja nämlich schon genug! Statt sich noch mehr Essen zuzubereiten und noch mehr mit Ihren Zähnen zu zermalmen, beides sehr aktive Handlungen, begeben Sie sich ins Reich der Passivität und des Geschehen-Lassens. Ich persönlich versetze mich dann gern in eine meditative Stimmung und vertraue darauf, dass genau das passiert, was passieren muss. Irgendwann ist diese Phase abgeschlossen, es macht "Pling" und ich kehre, mit neuer Frische und ohne (!) Hunger, zum Alltag zurück.

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Wie gehe ich mit meinen Hungergefühlen um? Ist Hunger etwas, was mich häufig verfolgt? Oder meldet er sich eher selten? Wie gut kann ich die Signale und die Facetten des Hungergefühls interpretieren und danach handeln?
  • Wie ging man mit Hunger (und mit Nahrung) in meiner Familie um?
  • Welche der einzelnen Hungerbedürfnisse sind bei mir gut bzw. nicht so gut erfüllt? Was kann ich tun, um meine Lage diesbezüglich zu verbessern?
  • Wie verhalte ich mich im Kontakt zu anderen Menschen? Bin ich vollkommen offen? Oder habe ich meine Schutzmechanismen? Bin ich schüchtern oder distanziert oder überheblich oder vorsichtig oder übertrieben offen und mehr beim anderen als bei mir?
  • Wovor habe ich Angst?

 

Zurück zum Blog

Bildnachweis:
Bild von Anemone123 auf Pixabay
Bild von Engin Akyurt auf Pixabay
Bild von photosforyou auf Pixabay
Bild von efes auf Pixabay