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Ethik in der Therapie

 

Inhaltsverzeichnis

 

Dieser Artikel entstand, als ich im Januar 2020 das Buch "Der Verrat am Selbst" wieder in die Hand nahm, und durch den Austausch mit einigen inspirierenden Menschen.  

Das Thema Ethik in der Therapie wird meiner Meinung nach selten direkt thematisiert oder nur auf einer bestimmten Ebene gesehen. Typisch ist die Auseinandersetzung mit der Frage, was der Therapeut darf und was nicht, s. auch die sog. Abstinenzregel aus der Psychoanalyse. Ein ethisches Verständnis ist aber ebenso wichtig, was die grundlegenden Ziele einer Therapie betrifft. Ich beziehe mich bei der folgenden Auseinandersetzung auf die Darstellung dieses Themas durch Arno Gruen im Buch "Der Verrat am Selbst. Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau", zu finden auf S. 135 in der 25. Auflage von 2014, erschienen im Deutschen Taschenbuch Verlag 

Zwei Arten von Psychotherapie

Gruen schreibt, dass es zwei Arten von Therapie gibt, die unterschiedliche Ziele verfolgen. Die eine Art von Therapie hat das Ziel, den Menschen zu befähigen, mit seinen Problemen, seiner Zerrissenheit und Konflikthaftigkeit im Rahmen der dazugehörigen Gesellschaft und Kultur besser umgehen zu können und die eigene Empfindsamkeit zu reduzieren. Die andere Art von Therapie zielt darauf ab, an den Ursprung dieser Zerrissenheit und Konflikthaftigkeit zu kehren, die tief liegende Wahrheit – auch wenn sie sehr schmerzvoll sein kann – zu konfrontieren und über einen Trauerprozess in die Integration und Heilung zu überführen. Gruen formuliert es drastischer: "In dieser Frage unterscheiden sich Psychotherapien fundamental, nämlich jene, die die Spaltungstendenzen in der Kultur unterstützen, und jene, die auf der Suche nach der umfassenden Wahrheit des Individuums und seiner Welt sind." 

Welche Art von Therapie ist die richtige?

Es stellt sich aber die Frage, welche Form die richtige und was in welcher Situation für einen bestimmten Klienten das ethisch Vertretbare ist. Geht die Wahrheit immer vor? Oder wäre die zweite Art von Therapie eine Zumutung, die alles nur schlimmer machen könnte? Die den Klienten in seinen Grundfesten so erschüttern würde, dass er keinen Boden mehr unter den Füßen bekommt? Also würde die erste Art von Therapie seinem Schutz dienen? Dem Schutz des Klienten also? Oder eher dem Schutz des Therapeuten, der bei manchen seiner Themen bislang auch noch nicht am Ursprung gewesen ist und daher sich und zwangsläufig auch seine Klienten davor "schützen" muss? Dann wäre der Therapeut dafür verantwortlich, erst einmal selbst an den Ursprung zu reisen? Ist es in manchen Situationen trotzdem sinnvoll, auf die Reise zum Ursprung zu verzichten? Gruen äußert sich da ziemlich klar: "(...) es besteht ein unaufhörlicher Zusammenhang zwischen dem "Kranksein" und der eigentlichen Empfindsamkeit, die einen nicht in Ruhe lässt." Schaut man sich die eigene Wahrheit nicht an, zahlt man immer einen Preis dafür und die eigene Empfindsamkeit wird sich immer wieder melden, z. B. in Form von Körpersymptomen. 

Der Ursprung und ich

Ich kehre gern an den Ursprung zurück. Nach dem Motto: Wenn schon, denn schon! Außerdem passiert es ganz von alleine. Das hat viele Vorteile, birgt aber auch gewisse Risiken. Und wenn ich mit einem Klienten oder einer Klientin nicht an den Ursprung herankommen kann, dann war ich selbst noch nicht dort. Das heißt, dann gibt es auch für mich – z. B. im Rahmen von Supervision – eine Hausaufgabe zu erledigen. 

Der Ursprung und Sie

Wir alle wollen an den Ursprung zurück und gleichzeitig haben wir Angst davor. Diese Ambivalenz ist etwas völlig Normales. Auch hier gilt: Wenn Sie nicht wollen, müssen Sie nicht! Manchmal besteht der erste Schritt darin, die Tür etwas aufzumachen und ein bisschen mit der Taschenlampe hineinzuleuchten – bildlich gesprochen.

Woher kommt aber die starke Angst? Nehmen wir an, der Urkonflikt ist entstanden, als Sie 3 Jahre alt waren. Hätten Sie sich den Lebensumständen nicht angepasst, wäre es möglicherweise tödlich für Sie ausgegangen. Diese Todesangst eines / einer 3-Jährigen wird wieder aktiviert, wenn man sich der Ursache nähert. Man ist aber nicht mehr 3 Jahre alt und hat als Erwachsene/-r ganz andere Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten. Das weiß unser Bewertungssystem aber nicht, denn es schaut weiterhin mit den Augen eines 3-jährigen Kindes darauf. Sieht man doch hin, stellt man fest, dass es aus der heutigen Erwachsenenposition durchaus bewältigbar ist!

 

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